„Mein Leben als Affenarsch“ ist das zweite autobiografische Buch des Regisseurs Oskar Roehler. Er zeigt uns eine aufgeputschte Achtziger-Jahre-Welt voller Speed und Speichelbasen. Eine Begegnung.
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Oskar Roehler sieht aus wie jemand, der seit dreißig Jahren einen Kater hat, also verdammt gut. Er sitzt auf einem Stuhl, die Arme streckt er gerade an den Seiten hinab, höflich, steif, wie um ein Zittern zu vermeiden.
Oskar Roehler ist ein feingliedriger Mensch, einer, der früher zu viel Speed genommen hat, einer, der schaut, als sei er gerade aufgewacht, nicht hilflos, aber aufrichtig verwundert. Wie jeder gute Provokateur ist er entgegenkommend.
Er mag die frühe Uhrzeit nicht, hat die Dame vom Verlag gesagt, ein bisschen bedauernd, als würde sie einen zum Vorzeigelöwen ihres Zoos führen und als sei es um neun Uhr morgens eben leider ein bisschen wahrscheinlicher, dass er einen auffrisst als, sagen wir, um vier Uhr nachmittags. Aber Oskar Roehler streckt nur von seinem Stuhl die Hand zur Begrüßung aus und zieht sich dann wohlwollend in seine Lederjacke zurück.
Seine Füße stinken grauenhaft
„Mein Leben als Affenarsch“ heißt sein neues, ziemlich autobiografisches Buch, es ist das zweite, das er geschrieben hat in seinem Leben. Eigentlich ist Roehler vor allem Regisseur und Drehbuchautor, einer der besten, die es gibt in Deutschland, das ist spätestens klar, seitdem er „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq verfilmt hat. Roehler verfilmt und vertextet seine Lebensthemen, wobei seine Filme viel strahlender und ruhiger und quälender sind als seine Bücher, in denen es eher ist, als würde er die Welt mit dem Fleischhammer bearbeiten.
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„Herkunft“ hieß damals, vor vier Jahren, das erste Buch, in dem sich Roehler sein verstocktes, traumatisiertes Alter ego Robert erfand, um den sich jetzt das neue Buch, das mit dem Affenarsch-Titel, dreht.
Roehler verfilmte „Herkunft“ unter dem Titel „Quellen des Lebens“, und auch zu „Mein Leben als Affenarsch“ gibt es einen Film, der jetzt anläuft, er heißt „Tod den Hippies, es lebe der Punk“. Es ist die gleiche Geschichte wie im Buch, Facetten derselben Welt der grellen, autodestruktiven Achtzigerjahre, in denen, wer subversiv sein wollte, mit der Kälte kokettierte und dem Weltuntergang – und nicht mehr wie die Hippies mit dem Weltfrieden.
Roehler ist mittlerweile 56, was man ihm nicht ansieht, auch wenn er wahnsinnig viel gefeiert haben muss in seinem Leben – so viel, dass es irre ist, dass er das alles überstanden hat, wovon er in seinem Buch erzählt. Robert ist natürlich nicht Roehler, aber Roehler ist als Schriftsteller ein Autor, bei dem man so tun darf, als sei die Trennung egal, weil die belustigte Rotzigkeit seines Schreibens nicht auf Exegese, sondern auf Verwischung zielt.
Die Leute haben sich damals einfach extrêmement ausagiert, einige sind elendig vor die Hunde gegangen
Robert, 19, zieht also von Westdeutschland nach West-Berlin, es ist grauenhaft. Er findet eine Erdgeschosswohnung im Hinterhaus eines Weddinger Wohnkomplexes, wo es nach Kartoffeln und Eiern riecht und der Hausmeister sich vor seinem Fenster erleichtert. Robert trägt einen alten Wehrmachtsmantel, seine Füße stinken grauenhaft, er ist auf erbärmliche Art und Weise gleichzeitig selbst- und fremdgefährdend, macht Speichelblasen und ekelt seine Umwelt an.
Er schneidet sich mit dem Küchenmesser die Unterarme auf, als ihm seine Geliebte, eine Prostituierte namens Nina, die er im Lauf der Handlung in einem Pornokino kennenlernt, den Sex verweigert. Irgendwann liegt ein glibberiger Fötus auf dem Fußboden, und Robert geht im Landwehrkanal schwimmen. Außerdem zieht er sehr viel Speed und säuft im „Risiko“, wo Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten rumhängt und alle anderen Leute, die man zu dieser Zeit großartig fand.
Muss das sein, kann man sich jetzt fragen, so eine Burroughs-Beatnik-Bukowski-mäßige Coming-of-Age-Geschichte, die eigentlich vor allem ziemlich eklig ist und dann auch noch mit Tom Schilling verfilmt wird? „Mein Leben als Affenarsch“ ist allerdings ein Buch ohne Metaebene, laut, schnell und roh wie Beton, aber es macht Spaß.
Ist das Entblößungsliteratur?
Die Geschichten, die Roehler erzählt, sind nie privatistische Traumaverwurstungen, daher ist auch das Wort „Entblößungsliteratur“ völlig falsch, das letztens ein Rezensent für „Mein Leben als Affenarsch“ fand. Es ist eine Schönheit in dieser Berlin-Geschichte, auch wenn sich die Aneinanderreihung von Krassheiten irgendwann ein bisschen erschöpft.
Wenn Roehler an diesem Frühlingsmorgen im Jahre 2015 über die Punk- und New Wave-Szene der frühen Achtziger spricht und darüber, warum er jetzt so ein autobiografisches Buch geschrieben hat, dann klingt es kindlich und ein kleines bisschen affektiert, aber auch aufrichtig sehnsüchtig: Das sei alles so trashig und so extrem gewesen, aber so wunderschön, und Blixa Bargeld habe einfach so unglaublich gut ausgesehen, das sei ihm erst später klar geworden, dass einfach alles daran lag, dass er, also Blixa Bargeld, so wunderschön gewesen sei.
Die Leute hätten sich damals einfach „extrêmement“ ausagiert, einige seien „elendig vor die Hunde gegangen“. „Der Habitus“, sagt Röhler, „dass du Leuten, wenn sie irgendeinen Mist reden, einfach ins Gesicht spuckst. Dass du dich so ekelst vor den Umständen im System und dass du dem dann auch extrem Ausdruck verleihst.“
Punk, sagt Roehler, birgt ja, anders als etwa die Hippiebewegung, keinerlei Heilsversprechen. Es war eine riesige Befreiung, damals in Berlin, eine kalte, betonierte Bombenfreiheit. Roehler ist der Sohn der Schriftsteller Gisela Elsner und Klaus Roehler. Seine Kindheit muss ein ziemlicher Albtraum gewesen sein; die Mutter verließ sehr früh Mann und Kind, er zog zu den Großeltern und später ins Internat in Unterfranken.
Der Habitus, dass du Leuten, wenn sie irgendeinen Mist reden, einfach ins Gesicht spuckst. Dass du dich so ekelst vor den Umständen im System und dass du dem dann auch extrem Ausdruck verleihst
In dem Film „Die Unberührbare“ erzählt Roehler von den letzten Lebensjahren seiner Mutter, Hannelore Elsner spielt sie, schlaflos und medikamentenabhängig, fragil, fanatisch, verletzlich und freiheitsliebend bis zur Grausamkeit.
Roehler hat in seinen Büchern und Filmen viele solcher Muttergestalten erschaffen, und es macht ihm sichtlich Spaß zu sagen, dass damals im Westdeutschland seiner Jugend die Ökofeministinnen „omnipräsent“ gewesen seien, einfach überall, und sie hätten einen ständig gezwungen, Kartoffeln zu schälen und Mohrrüben, und wenn man die nicht geschält habe, habe man keinen Sex bekommen.
Deswegen also lieber Berlin und lieber Punk. Oskar Roehler wurde, nachdem er sich nach Berlin gerettet hatte, selbst so ein „Affenarsch“, bevor er in den frühen Neunzigern Christoph Schlingensief kennenlernte und durch ihn zur Kunst und zur Sprache fand. So erzählt er es immer wieder.
Das Wort „Affenarsch“
Ein performatives Wort, „Affenarsch“, ein hässliches, stinkendes, grelles Wort: Derjenige, der sich nicht geniert, es zu benutzen, nimmt etwas von seinem Wesen an. Es kommt direkt aus dem wahren, vernarbten, neonröhrengrellen Punk der Achtziger, also aus der vielleicht einzigen Szene, die jemals aufrichtig an ihren eigenen Untergang und den der Menschheit geglaubt hat und auch noch Grund hatte zu diesem Glauben, weil der Kalte Krieg herrschte und damit die reale Möglichkeit der totalen Vernichtung.
Das sind Klischees, natürlich, aber es sind die zuckenden Lichtbilder eines Gefühlszustands, der stark und schlimm genug gewesen sein muss, für Roehler und für viele, um zu sagen: So war es, und ich habe es überstanden. Dabei hieß es ja eigentlich „No future, no hope“, und statt Zukunft und Hoffnung gab es Speed und Koks bis zum Abwinken, Bier, Ledermäntel, aufgeschnittene Unterarme, lange vor Kurt Cobain, und Ekstase. Pornokinos, Sperma und zerbombte Hinterhöfe.
Das ist die Welt dieses Buches, in dem es gute, böse, wahre Sätze gibt, zum Beispiel, wenn Roehler den Wedding beschreibt, den er vorfindet, als er gerade nach Berlin kommt: „Der Wedding ist eine geistige Wüste. Hier leben die abgestumpften Hinterhofproleten seit Jahrzehnten. Die ganze Verrohung, der Stumpfsinn des Brandenburger Hinterlands kommt hier zusammen, die ganze Kulturlosigkeit und Armut der Kartoffeläcker, die dieser kahlköpfige, gedrungene Menschenschlag dort seit Jahrhunderten beackert.“
So geht es weiter, er schreibt von „Verbrechervisagen, die eine ekelerregende Masse sprachlichen Schleim absondern, der nach Fäulnis, Verwesung Mundgeruch stinkt“. Man fühlt und riecht diese Welt, sie ekelt einen an und ist doch heimelig, weil dieser ganzen Weddinger Hinterhofhölle irgendetwas vom kartoffeligen Aroma eines noch teilzerbombten Westdeutschlands anhaftet, das man zu kennen glaubt, auch wenn man damals noch gar nicht nicht geboren war.
Das Schönste an dieser Geschichte ist vielleicht, dass sie so völlig apolitisch ist. Eine Subkultur, die den Ekel zur ästhetischen Grundhaltung macht, ist heute gar nicht mehr denkbar.
Ein Buch, das riecht
Roehler sagt, am meisten habe er damals den Film „Pink Flamingos“ von John Waters geliebt, er sei immer wieder reingegangen, in die Mitternachtsvorstellungen im Kino „Notausgang“, und damals habe es so Karten gegeben, die zu Vorstellungsbeginn ausgeteilt worden sind, mit Gerüchen zu jeder Szene, und das sei natürlich ziemlich ekelhaft gewesen, in der einen Szene, in welcher der Hauptdarsteller die „Kacke eines Pudels“ fresse, und ein bisschen so sei auch sein Film geworden, die Verfilmung von „Mein Leben als Affenarsch“, also manchmal bizarr und unangenehm.
Eigentlich ist auch das Buch so, man riecht und schmeckt die ganzen Wunden und den furchtbaren Geruch, der Robert entgegenschlägt, als er die Bettdecke des Lagers lüftet, das er für einige Wochen mit Nina in Rio de Janerio teilt, bei einem ihrer Versuche, ihrem Leben in Berlin zu entkommen.
Wie rettet man sich aus einer solchen Welt heraus? Roehler sagt, er habe schon immer den Hang zur Autoaggression besessen, und der habe sich unter anderem auch darin geäußert, dass er manchmal nach einer „durchgespeedeten“ Nacht in der Lage gewesen sei, dreißig Kniebeugen zu machen, Frühsport, eine „disziplinarische Höchstmaßnahme“. Heute kann man sich den Punk nur noch als Berlin-Mitte-Menschen vorstellen unter vielen anderen Berlin-Mitte-Menschen. Das ist aber auch ganz gut so, wir brauchen ja seine Filme und Bücher.